Jubiläum 20 Jahre Notfallseelsorge- und Kriseninterventions-Team Aue-Schwarzenberg
Wenn Einsatzorganisationen ausrücken, ist meist ein Notfall eingetreten. Bei der Gefahrenabwehr aber auch bei Hilfeleistungen stehen die Frauen und Männer von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Zivilschutz und THW bereit. Ein Einsatz kann aus verschiedensten Gründen erforderlich werden: Unfälle, Katastrophen, Suizide, ein plötzlicher Todesfall, ein Brand oder andere Gefahrensituationen lösen die Rettungskette aus. Die Einsatzkräfte kümmern sich um das Geschehen und tun ihr Möglichstes, um Schaden von Leib und Leben abzuwenden. Leider kommt es immer wieder vor, dass ein Einsatz erfolglos verläuft.
Stellen Sie sich vor, eine Mutter erfährt vom plötzlichen Tod ihres Kindes oder ein Arbeitsunfall reißt eine Familie auseinander. Wenn nicht mehr geholfen werden kann, bleiben Menschen in sehr belastenden Situationen alleine zurück. Der unmittelbare Einsatz der Rettungskräfte ist beendet – die Kameradinnen und Kameraden der Einsatzorganisationen müssen sich für eventuell folgende Alarmierungen bereitmachen. Zurück bleiben Betroffene in ihrer Hilflosigkeit, Wut und Überforderung. Trauerbedingte Reaktionen können vielfältig sein.
Um diese Lücke in der Rettungskette zu schließen, wurden Notfallseelsorge- und Kriseninterventions-Teams gegründet. Die Mitglieder kümmern sich um die (seelischen und psychischen) Belange von Hinterbliebenen und Angehörigen innerhalb der ersten Stunden nach dem Ereignis. Ziel ist es, weiterführende Hilfe für den Betroffenen anzuschieben. Die Einsatzkräfte der Notfallseelsorge und Krisenintervention müssen sich auf die akute Situation einstellen, die individuellen Bedarfe erkennen und professionell handeln. Ein gutes Netzwerk ist dabei von enormer Wichtigkeit. Die Bandbreite der Maßnahmen reicht von der Information von Familienangehörigen oder dem Pfarrer bis hin zu Pflegeheimeinweisungen, Kontaktaufnahme mit erfahrenen Traumapädagogen, ambulanten Pflegediensten, Bestattungsunternehmen, dem Hausarzt oder dem Jugendamt. Jeder Fall ist anders, immer eine Herausforderung und hat stets zum Ziel, Betroffenen beizustehen und nach Möglichkeit die Entwicklung eines posttraumatischen Belastungssyndroms zu vermeiden. Fordern Polizei, Rettungspersonal oder Feuerwehr, auf Grund eines Vorkommnisses Krisenintervention an, erfolgt die Alarmierung zentral über die Rettungsleitstelle, 24 Stunden rund um die Uhr, ob sonn- oder feiertags.
Notfallseelsorge und Krisenintervention sind relevant!
Über 60 Anforderungen im vergangenen Jahr - allein für das Team des Altlandkreises Aue-Schwarzenberg sprechen eine deutliche Sprache.
Für ihre unentbehrliche Arbeit am Menschen und für das Gemeinwohl, wurde das Notfallseelsorge- und Kriseninterventions-Team Aue-Schwarzenberg (NFS/KIT-Team ASZ) auch anlässlich seines 20-jährigen Bestehens in diesem Jahr, mit dem „Ehrenamt des Monats April“ ausgezeichnet und erhielt von Landrat Frank Vogel und der Fachstelle Ehrenamt des Erzgebirgskreises eine Urkunde und die erzgebirgische Holzfigur „HelD“ (Helfen und Danken).
Um einen besseren Einblick in das herausfordernde Engagement zu gewinnen, hat Denise Rehm von der Fachstelle Ehrenamt mit Michael Döhler (Leiter NFS/KIT-Team ASZ) und Joachim Böhm (Bereichsleiter Fortbildung & Qualität NFS/KIT-Team ASZ) das nachfolgende Interview geführt.
Herr Böhm, als damaliger Vorsitzender des HERR-BERGE e.V., hat vor 5 Jahren, wegen der auslaufenden Trägerschaft der Feuerwehr Zwickau, die Notfallseelsorge und Krisenintervention Aue-Schwarzenberg in die Trägerschaft des HERR-BERGE e.V. (An der HERR-BERGE 1-9, 08321 Zschorlau) geholt.
Herr Döhler, das Notfallseelsorge- und Kriseninterventions-Team Aue-Schwarzenberg feiert am 13. Mai 2022 sein 20-jähriges Jubiläum. Was war damals der Auslöser, den Aufbau einer Notfallseelsorge und Krisenintervention mit aller Kraft voranzutreiben?
Herr Döhler: „Ein starkes Motiv, war das Erleben im eigenen Berufsleben. In Zeiten, in denen man sich wieder einsatzbereit machen und dadurch die betroffenen Leute allein lassen musste, erkannte ich die Notwendigkeit, etwas zu installieren, dass diese Lücke überbrücken und schließen kann.“
Welche Höhen und Tiefen hat das NFS/KIT-Team ASZ durchlebt? Wurde das ehrenamtliche Engagement jederzeit von den relevanten Stellen unterstützt und wie gelang der Aufbau?
Herr Döhler: „Nun ja, die Unterstützung war nicht in jedem Fall gleich gut. So gab es anfangs zum Beispiel vereinzelt die Meinung, dass eine Art Aufgabenliste, die man vor Ort ausgibt, ausreichen würde. Auch aus den ‚eigenen Reihen' kam der Antritt, dass die Zeit dafür gar nicht da wäre. Von Region zu Region, waren die Reaktionen doch recht unterschiedlich. In der Anfangszeit hieß es daher, für unser Anliegen ‚Klinken zu putzen‘'. Gleich in der Anfangszeit standen wir vor einer großen Herausforderung. Die Flut im Jahr 2002. Bei dieser Katastrophe waren viele Opfer gleichermaßen betroffen und nicht, wie im Normalfall, ein Haushalt. Deswegen war auch ein neues Konzept erforderlich, um mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Ein Kollege hatte die Idee, Dinge des täglichen Bedarfs in einen Bus zu laden und von Haus zu Haus zu fahren. Dieser Einfall war also unser ‚Türöffner'. Auf diese Weise, kamen wir mit den Menschen ins Gespräch und konnten dann individuell und angepasst reagieren. Wir waren damals 3 Wochen lang im Einsatz. Die Anforderung der 3 mitteldeutschen Teams erfolgte seinerzeit über das Landratsamt Sächsische Schweiz. Wie Sie sich vorstellen können, keine leichte Aufgabe, wenn sich die eigenen Strukturen noch im Aufbau befinden.“
Um die Arbeit im NFS/KIT-Team bewältigen zu können, müssen potenzielle Engagierte einiges mitbringen. Neben mentaler Stärke und dem souveränen Umgang mit Belastungssituationen, muss auch die Bereitschaft bestehen, sich ständig fort- und weiterzubilden. Wie werben Sie Engagierte und gibt es ein Mindestalter für dieses herausfordernde Ehrenamt?
Herr Döhler: „Anfangs hatte man sich schon ein Mindestalter gesetzt. 23 bis 25 Jahre sollten Engagierte sein, da man für diese herausfordernden Einsätze ein gewisses Maß an Lebenserfahrung benötigt. Oft denken auch Jüngere, dass sie bereit für Einsätze im NFS/KIT sind. Dabei haben wir aber ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die Praxis sieht leider oft anders aus. Es hilft tatsächlich nur, sich auszuprobieren und zu sehen, ob man den Anforderungen gewachsen ist. Eine große Gefahr besteht auch darin, dass Menschen, die eigene Probleme haben, sich durch die Arbeit eine Art Problemlösungsstrategie erhoffen – dass funktioniert natürlich nicht. Wir versuchen daher bei Interessierten in persönlichen Gesprächen herauszufinden, ob sie für den Einsatz geeignet sind. Generell kommen Engagierte oft selbst aus dem Rettungsdienst. Sie haben den Anspruch, Betroffene nicht allein zu lassen. Durch diese Kräfte haben wir bisher – Gott sein Dank! – auch immer genügend Ehrenamtliche, um die Bereitschaft aufrecht erhalten zu können. Gerade in der Anfangszeit des NFS/KIT Aue-Schwarzenberg, hat es uns sehr geholfen, dass auch emeritierte Pfarrer das Team unterstützt haben.“
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team ist wichtig. Wie unterstützen Sie sich gegenseitig nach einem Einsatz?
Herr Döhler: „Prinzipiell werden die Einsätze regelmäßig in der Gruppe ausgewertet. Wer einen Einsatz hatte, erzählt darüber, auch über eventuelle Schwierigkeiten. Wenn eine Anforderung erfolgt und jemand hat – aus welchen Gründen auch immer – ein Problem diesen allein anzutreten oder eine Gefahrenlage besteht, dann kann der Einsatzmitarbeiter immer auch weitere Kräfte dazu holen. Wir haben in der Gruppe immer ein offenes Ohr für einander, außerdem haben wir stets Dienstberatungen, auch um die Einsätze nachzubereiten. Ganz wichtig ist die Selbstreflexion, keiner soll an seine Grenzen oder gar darüber hinaus kommen. Mitarbeiter, die gerade persönliche Schicksalsschläge durchleben, sind nicht im Einsatz.“
Herr Böhm, im Zuge der Ukraine-Krise gab es Anfang April, genauer vom 07.-10.04.2022, eine Aktion, bei der 13 Kleinbusse mit Hilfsgütern aus unserem Kreis nach Lemberg (Lwiw) gefahren sind. Die Fahrer waren überwiegend jüngere Menschen. Sie haben die Aktion in Ihrer Funktion als Notfallseelsorger begleitet. Warum?
Herr Böhm: „Einerseits, um für die vorrangig sehr jungen Hilfstransport-Teilnehmer aus Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg da zu sein, jedoch auch, um mit meinen russischen und englischen Sprachkenntnissen sowohl in Lemberg (Lwiw), als auch am ukrainisch-polnischen Grenzbahnhof Przemyśl traumatisierten, ukrainischen Kriegsflüchtlingen notfallseelsorgerisch beizustehen. In ein spontan zusammengestelltes internationales Hilfsteam vor Ort, mit Kräften aus Frankreich, Österreich, Holland, Spanien, Portugal, England, Amerika und Mexiko, konnte ich mich mit meinem fachlichen Hintergrund – auch aus meiner früheren Tätigkeit im Rettungsdienst – entsprechend einbringen, den ukrainischen Kriegsflüchtlingen beistehen und auch die polnischen Vor-Ort-Kräfte aus den Bereichen Katastrophenschutz, Militär, Feuerwehr und Rettungsdienst solidarisch und moralisch unterstützen. Sprachbarrieren zu polnischen Einsatzkräften spielten in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Wir wollten gemeinsam helfen, und das im europäischen und internationalen Kontext.“
In den vergangenen Jahren wurde auf dem Gebiet der Notfallseelsorge und Krisenintervention vieles vorangetrieben und erreicht. Beispielsweise haben die Inhalte Eingang in der Ausbildung bei den verschiedenen Einsatzorganisationen gefunden. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Herr Döhler: „Uns ist es wichtig, dass die Notfallseelsorge und Krisenintervention künftig ein fester und integraler Bestandteil der Rettungskette wird. Eine Gefahr sehe ich darin, dass die Engagierten immer älter werden und immer höhere Kosten entstehen. Doch trotz Studien, die belegen wie Krisenintervention wirkt, ist die Notfallseelsorge und Krisenintervention noch immer keine vollfinanzierte Aufgabe. Die Gesellschaft ändert sich und ohne mehr Geld – weiter nur für diese geringe Aufwandspauschale – sehe ich die Gefahr, dass wir künftig niemanden mehr finden, der diese Verantwortung, auch hinsichtlich Organisation und Abrechnung, tragen will. Aktuell erhalten wir eine Summe X als Aufwandsentschädigung vom Landkreis, das ist bereits eine enorme Verbesserung im Gegensatz zu früher. Zieht man aber die (geringen) Aufwandsentschädigungen für Bereitschaft und Einsatz (inkl. Spritkosten) sowie die Kosten für Ausrüstung, wie Jacken oder Einsatzrucksäcke, ab, bleibt nicht viel übrig. Wir sind aber sehr froh, diese Unterstützung zu bekommen! Selten erhalten wir für unsere Arbeit auch einmal eine Spende, aber um gezielt Spenden einzuwerben, fehlt uns einfach die Zeit.“
Herr Böhm: „Als erstes sind wir dankbar für das Grußwort des Schirmherrn, Herrn Landrat Frank Vogel, und für das Grußwort des Stadtoberhauptes, Herrn Ingo Seifert, anlässlich unseres Jubiläums. Eingegangene, schriftliche Rückmeldungen seitens unseres Ministerpräsidenten, Herrn Michael Kretschmer, unseres Innenministers, Herrn Armin Schuster, und des Vorsitzenden des Kreisfeuerwehrverbandes Erzgebirge e. V., Herrn Gunnar Ullmann, machen Mut, stärken unser ehrenamtliches Engagement und unsere Vernetzungsfähigkeit mit anderen Blaulichtorganisationen immens. Notfallseelsorge und Krisenintervention ist mittlerweile eine professionelle Arbeit, die hohe fachliche Kompetenz erfordert, um krankheitsbedingte, langwierige Folgeschäden bzw. –kosten in Größenordnungen zu vermeiden. Für 12 Stunden Bereitschaft, an Wochen-, Sonn- und Feiertagen, erhalten wir eine Pauschale von 5 EUR, für einen Einsatz mit aufwendigem Dokumentationsprotokoll erhalten wir 30 EUR Einsatzkostenpauschale. Bei den Entfernungen im Altlandkreis, von Lößnitz bis Johanngeorgenstadt, von Raschau-Markersbach bis Stützengrün, deckt dies mittlerweile fast nicht mehr die Benzin- bzw. Dieselkosten. Das heißt unter Umständen legen wir noch drauf – da muss sich etwas ändern! Es müssen perspektivisch also auch Anreize geschaffen werden, um die Arbeit mittel- und langfristig – auch mit neuen NFS/KIT-Ehrenamtlichen – fort- und weiterzuführen. Da stehen die Landkreise und Zuwendungsgeber des Freistaates Sachsen ausdrücklich in der Pflicht, die entsprechenden finanziellen Herausforderungen für Gegenwart und Zukunft zu berücksichtigen und zu gewähren.“